Alles, was man wirklich glaubt, das ist wahr.
Alles, was ich erfinde, male und phantasiere ist Wirklichkeit — eine neue Wirklichkeit. Ich erschaffe eine Welt. Was Du glaubst, wird wahr — geh, Dein Glaube hat Dir geholfen. Viele von meinen Bildern haben keinen deutlich erkennbaren Sinn. Und doch ist alles folgerichtig und sinnvoll, was ich tue, einfach dadurch, daß es entsteht und da ist. In dem Moment, wo jemand eines meiner Bilder ansieht, beginnt der Zauber dieser Wirklichkeit, eine Reise, eine phantastische Reise von Mal zu Mal anders und neu, so wie der Mensch, der es sieht. Ich habe die Phantasie eines Kindes behalten. Sie war oft das einzige Spielzeug, das ich hatte und ich habe es so liebgewonnen. daß ich es bis heute aufhebe, wo ich es finde und benutze.

Katrin Hattenhauer, 1999
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Was ist eigentlich los
Acryl, Sperrholz auf Leinwand
50x70 cm, 2002
Aus:
Katrin Hattenhauer, Leben im Widerstreit, in
N. Beckenbach (Hg.), Fremde Brüder. Der schwierige Weg zur deutschen Einheit.
Duncker & Humblot, Berlin 2008, S. 27-53

Einleitung
Ich kann nicht sagen, dass ich mit 20 Jahren die Einheit Deutschlands gefordert hätte, dass dies mein Ziel gewesen wäre. Ich bin 1968 im schon geteilten Deutsch­land auf der Ostseite geboren worden. Dass es einmal eine andere Zeit gegeben hatte, kannte ich nur aus Erzählungen meiner Mutter, die selbst noch nicht 20 war, als Deutschland durch eine Mauer geteilt wurde. In der jungen Opposition der DDR der 80er Jahre in Leipzig und Berlin habe ich niemanden kennen gelernt, der die Einheit Deutschlands forderte.
Ich wollte einen ehrlichen Staat, dessen Regierung wirklich frei gewählt ist, der seine Bürger nicht belügen muss, was seine wirtschaftliche Lage angeht. Ein Land, auf das man stolz sein kann, ein freies Land, in dem man freiwillig bleiben will. Ein Land, in dem man glauben kann – an was man will – auch an Gott, ohne Nachstellung, Überwachung und Strafe. Ein Land, in dem ich studieren kann, weil ich gut bin in einer Sache, auf einem Gebiet, und nicht weil ich „Beziehun­gen" habe.
Ich war noch sehr jung und hatte keine ganz konkreten Vorstellungen von einem „Neuen Staat". Ich war keine Politikerin, aber ich begriff, was faul war, und ich hatte Vorschläge und Ideen. Wir wussten nicht auf alles eine Antwort, aber wir stellten zu dieser Zeit, glaube ich, die richtigen Fragen. Ich kämpfte nicht für die Einheit Deutschlands, das war nicht mein Horizont, doch war ich auch keine „neue" Sozialistin. Das Wort Sozialismus stand für mich für die DDR – „sozialis­tisch", dieses Wort wurde in der DDR beinah vor jedes Wort gestellt oder hinten drangehängt. Ich suchte die größtmögliche Entfernung dazu. Die linke alternative Szene, aber auch ein großer Teil der Grünen und der SPD damals waren ja von der DDR beeindruckt, hielten sie teilweise für den besseren deutschen Staat. Ich konn­te das nicht verstehen. Wir hatten viel mehr mit der Charta 77 in Tschechien ge­meinsam als mit der Bürgerbewegung der Bundesrepublik.
Alles, was ich damals unternommen habe, habe ich vor allen Dingen getan, weil ich an die Richtigkeit meines Anliegens und meines Handels glaubte, nicht weil ich schon alles hätte absehen können, was daraus für mich und andere folgen würde. Ich glaubte fest, dass es richtig ist, die eigenen Überzeugungen in die Tat
umzusetzen und sie mit anderen zu teilen, ich glaubte, als Christ handeln zu müssen, auch wenn ich mich damit im Gegensatz befand zur Mehrheit der Men­schen in dem Land, in dem ich lebte.
Heute finde ich es richtig, dass wir wieder ein Land sind. Warum hätten wir es zulassen sollen, dass 40 Jahre DDR so schwer wiegen oder so endgültig hätten sein sollen. Meine Großeltern lebten in einem Deutschland und mein Sohn tut es wie­der. Er lebt auch in Italien, in Europa — und so ist es gut. Aber ich erkenne auch, dass wir, obwohl wir in Ost- und Westdeutschland die gleiche Sprache sprechen, uns oft nicht verstehen.
Das Problem auf ostdeutscher Seite ist, dass die Menschen sich ungerecht be­handelt fühlen, ihre

Lebensverhältnisse immer mit München oder Köln vergleichen und nicht mit den Verhältnissen in Berlin-Wedding oder im Emsland. Auch im Westen gibt es Gebiete mit vielen Arbeitslosen und schlechterer Bezahlung. Wenn ich manche Bekannte oder Verwandte im Osten, in Nordhausen, Leipzig oder Berlin von der DDR reden höre (falls sie noch reden, wenn ich reinkomme), dann bekomme ich immer den Eindruck: „Hey, in diesem Land, von dem sie spre­chen, hättest du auch gern gelebt." Sie verklären die DDR und ihre eigene Rolle in der damaligen Gesellschaft, und weil sich eine große Mehrheit der Menschen arrangiert hatte mit der DDR, wird diese Anpassungsleistung im Nachhinein als Normalität und deshalb auch als richtig erklärt. Alle anderen (also ich) waren Störenfriede. Und umso mehr im Westen gerichtet wird, umso mehr rückt der Osten zu einer Art Notgemeinschaft zusammen, die die Diktatur als freiwillige Lebensgemeinschaft verklärt — von Menschen, die einander alle Freund sind und Geld nicht so wichtig finden.
Das Problem im Westen ist, dass die meisten Westdeutschen selbstverständlich davon ausgehen, dass sie Oppositionelle gewesen wären oder sich jedenfalls irgendwie „anders und unangepasst" verhalten hätten, wenn sie im Osten gelebt hätten. Deshalb urteilen sie über den Osten hart und selbstgerecht. Dabei bin ich schon auf sogenannte „Alt-68er" getroffen, die sich ohne Not als Professoren warm und bequem angepasst haben, auf ehemalige SDS-Aktivisten, die Geschäftsführer von Arbeitgeberverbänden geworden sind, oder auf gehorsame Ministerialbeamte in der Sicherheit ihrer Pensionsrechte. Sie erkennen nicht genug an, dass es ein Privileg war, im Westen zu leben, nicht ein eigenes Verdienst.
Vielleicht wird es noch so lange dauern, wie auch die DDR gedauert hat, bis die Spuren der Teilung Deutschlands im unmittelbaren Lebenshorizont und im Alltag verschwunden sind. Ich aber will vieles nicht vergessen, auch wenn es weniger Schönes oder Erfreuliches war.
Ich wollte mutig sein, sagen was ich sehe und denke. Ich hatte Angst, wurde überwacht, eingeschüchtert, eingesperrt und mit langer Haftstrafe bedroht. Ich bin in einer Diktatur aufgewachsen, habe meinen Mund aufgemacht und bin ins Ge­fängnis gegangen. Ich habe keinen Grund, dankbar oder nostalgisch zu sein, wenn ich auf den Staat DDR und seine Gesellschaft zurückblicke. Und doch habe ich im Alter von 20 Jahren Erfahrungen gemacht, die mich stärken, prägen und von denen ich bis zum heutigen Tag profitiere.
Ich bin, was ich bin, was ich male, denke, fühle auch durch diese Zeit. Die Erfah­rungen in einer Diktatur haben mich anfällig bleiben lassen für jede Art von Unge­rechtigkeit. Ich frage direkter und glaube nicht alles, ich bin dankbar, dass ich die Demokratie mit all ihren Freiheiten, in denen ich heute lebe, nicht für selbstver­ständlich halte. In der Nacht des Mauerfalls bin ich auf den Straßen von Berlin 21 Jahre alt geworden und habe mit „fremden Brüdern" getanzt und getrunken. Da­rauf, dass nun ein neues Leben beginnt.

Es hat geklappt.

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Wirksamkeit für die Erinnerungskultur unseres Landes bisher nicht da gewesene, bedeutsame Grundlage. Mir geht es darum, die Chance zu nutzen, durch unmittelbares Einbringen persönlichen Erlebens zeitnah Geschichte zu thematisieren und Erinnerung auf die Zukunft hin zu erschließen. Ich habe in der DDR Freiheit eingefordert und ich habe mit meiner Freiheit bezahlt. Diesen „Glaubwürdigkeitsvorteil" kann ich in die Arbeit mit Jugendlichen einbringen. Immer wenn es gelingt, zum Gefühlskern von Handlungen und Verhaltensweisen vorzudringen, immer dann gelingt emotional-empathische Annäherung an Geschichte, ob in Fernsehsendungen, in Interviews oder in Workshops.
Das europäische Jugendbegegnungszentrum in Kreisau/Krzyzowa ist eine großartige Einrichtung. Was haben hier die über neunzigjährige Freya von Moltke und ihre Freunde schon alles erreicht. Jugendliche aus West- und Osteuropa kommen zusammen, um sich kennen zu lernen. Aber nicht nur so wie in einem Freizeitcamp, sondern sie erfahren am historischen Ort von anderen jungen Menschen, die in ihrer Zeit, so wie ich es nenne, „Freiheit gewagt" haben. Sie erfahren von anderen Menschen, die dort gelebt haben, die in ihrer Zeit für das, was sie waren, oder für das, was sie sein wollten, Konsequenzen, ja den Tod, auf sich genommen haben. Sie erfahren es durch Sachreferate, sie erfahren es durch eine Ausstellung — eine Ausstellung, die didaktisch ähnlich wie die Ausstellung im jüdischen Museum in Berlin konsequent personalisiert. Elemente von „oral histo­ry" sind mit Videoeinspielungen von Interviews mit Überlebenden des Kreisauer Kreises, die im dortigen Studienzentrum vorgehalten werden, präsent.

Ziel des Kreisauer Kunstworkshops
Hinzukommen kann, hier wie an anderen Stellen der Erinnerung, die Arbeit in Kunstworkshops. Ziel ist es, mit Hilfe künstlerischer Arbeit und Ausdrucksfor­men zu emotionalen Grundwahrheiten, zu wichtigen Gefühlen wie Liebe, Freundschaft etc. vorzustoßen, die über Länder und Gesellschaftsgrenzen hin­weg menschliches Leben und politisches Handeln prägen. Denn darin liegt nach meiner Überzeugung der Wert des Erinnerns: Da, wo Menschen diesen Grund­gefühlen treu geblieben sind, sich treu geblieben sind, da haben sie den Zumutungen widerstehen können, die Zeit und Umstände ihnen entgegen-gestellt haben. Da, wo Menschen diese Grundgefühle nicht mehr in sich gespürt haben oder gegen sie gehandelt haben, da war keine Orientierung mehr oder nur Ersatzorientierung, und andere Menschen sind ihre Opfer geworden.
Künstlerische Arbeit, Malen, Theaterspielen, Tanzen ermöglichen den Zugang zu dem, was im Menschen steckt. Über die Brücke dieser Grundgefühle kann ein Jugendlicher von heute gehen und so verstehen oder wenigstens erfühlen, was zu anderen Zeiten persönliche Grundlage für Handeln gewesen ist.

Auszug aus:
Katrin Hattenhauer, „Freiheit wagen",
ein Ost-West-Workshop in Kreisau/Krzyzowa mit Jugendlichen, in: B. Dörner u. K. Engelhardt (Hg.),
Arbeit an Bildern der Erinnerung,
Lucius & Lucius 2003, S. 217 - 226

Warum mache ich diese Workshops?
„Die Zukunft liegt in der Erinnerung", hat der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig gesagt. Die Entwicklung unserer Gesellschaft wird in nicht geringem Maß mitbestimmt durch das, was wir für erinnerungswert halten.
1991 habe ich das Archiv Bürgerbewegung mit gegründet, um Zeugnisse der Bürgerrechtsbewegung der DDR zu erhalten, und habe mich in Leipzig an Akti­onen zur Gründung und Durchsetzung der dann so genannten Gauck-Behörde beteiligt. Mit meinem Workshop „Freiheit wagen" möchte ich zusammen mit Jugendlichen Brücken schlagen von früheren Erfahrungen zu heutigen und zukünftigen.
In Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten eine „Erinnerungskultur" ausgebildet, eine Art der Auseinandersetzung mit Fragen des Widerstandes ange­sichts täglicher Unfreiheit, angesichts vor allem der Ermordung von Millionen Menschen während des dritten Reiches. Der Holocaust ist ein einmaliger Vor­gang, für unser Geschichtsbild von zentraler Bedeutung.
Aber auch zur DDR-Geschichte, dem Erlebens- horizont meiner Jugend, beginnt sich eine Art des Umgangs mit Erinnerung an das Handeln im jüngsten deutschen Unrechtsstaat und an die Opposition gegen die damalige Diktatur auszubilden.
Neben die Erinnerung durch Forschungsarbeit, durch das Lesen von Büchern, sind der Besuch von speziellen Erinnerungsorten und die Zeitzeuginnen-befragung auch durch das Fernsehen getreten. Verschiedene Arten, sich zu erinnern, ergänzen einander.
30 Jahre hat es nach dem Zweiten Weltkrieg gedauert, bis zentrale Fragen nach Gewissen, nach Verhalten, nach der Rolle und den Möglichkeiten des Einzelnen im Gewaltregime in der Breite wirksam diskutiert wurden. Zwar gab es seit den 1950er Jahren offizielle Gedenkveranstaltungen zum NS-Widerstand, zwar wur­den die Überlebenden des Widerstandes, etwa die Witwen der hingerichteten Mitglieder des Kreisauer Kreises, dazu eingeladen – davon abgesehen waren ihre Erlebnisse, ihre Empfindungen jahrzehntelang nicht gefragt. Erst seit den 80er Jahren hat sich das mit „Oral History" und einem damit verbundenen direktem emotionalen Zugang zur Geschichte geändert. Nach der Wende gelang in Deutschland die Einrichtung des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, eine Institution, die über die Öffnung und Bearbeitung von Akten des früheren DDR-Unterdrückungsapparates auch versucht, die Auseinandersetzung mit diesem Teil der jüngsten deutschen Geschichte mit zu ges­talten. Erstmals in der Geschichte können alle auskunftssuchenden Bürgerinnen fast unmittelbar nach dem Ende eines Unrechtsregimes nachvoll-ziehen, welchen Niederschlag ihr tägliches Verhalten – und das ihrer Nächsten - in den staatlichen Auf-zeichnungen gefunden hat. Das ist eine in ihrer