Einleitung
Ich kann nicht sagen, dass ich mit 20 Jahren die Einheit Deutschlands gefordert hätte, dass dies mein Ziel gewesen wäre. Ich bin 1968 im schon geteilten Deutschland auf der Ostseite geboren worden. Dass es einmal eine andere Zeit gegeben hatte, kannte ich nur aus Erzählungen meiner Mutter, die selbst noch nicht 20 war, als Deutschland durch eine Mauer geteilt wurde. In der jungen Opposition der DDR der 80er Jahre in Leipzig und Berlin habe ich niemanden kennen gelernt, der die Einheit Deutschlands forderte.
Ich wollte einen ehrlichen Staat, dessen Regierung wirklich frei gewählt ist, der seine Bürger nicht belügen muss, was seine wirtschaftliche Lage angeht. Ein Land, auf das man stolz sein kann, ein freies Land, in dem man freiwillig bleiben will. Ein Land, in dem man glauben kann – an was man will – auch an Gott, ohne Nachstellung, Überwachung und Strafe. Ein Land, in dem ich studieren kann, weil ich gut bin in einer Sache, auf einem Gebiet, und nicht weil ich „Beziehungen" habe.
Ich war noch sehr jung und hatte keine ganz konkreten Vorstellungen von einem „Neuen Staat". Ich war keine Politikerin, aber ich begriff, was faul war, und ich hatte Vorschläge und Ideen. Wir wussten nicht auf alles eine Antwort, aber wir stellten zu dieser Zeit, glaube ich, die richtigen Fragen. Ich kämpfte nicht für die Einheit Deutschlands, das war nicht mein Horizont, doch war ich auch keine „neue" Sozialistin. Das Wort Sozialismus stand für mich für die DDR – „sozialistisch", dieses Wort wurde in der DDR beinah vor jedes Wort gestellt oder hinten drangehängt. Ich suchte die größtmögliche Entfernung dazu. Die linke alternative Szene, aber auch ein großer Teil der Grünen und der SPD damals waren ja von der DDR beeindruckt, hielten sie teilweise für den besseren deutschen Staat. Ich konnte das nicht verstehen. Wir hatten viel mehr mit der Charta 77 in Tschechien gemeinsam als mit der Bürgerbewegung der Bundesrepublik.
Alles, was ich damals unternommen habe, habe ich vor allen Dingen getan, weil ich an die Richtigkeit meines Anliegens und meines Handels glaubte, nicht weil ich schon alles hätte absehen können, was daraus für mich und andere folgen würde. Ich glaubte fest, dass es richtig ist, die eigenen Überzeugungen in die Tat
umzusetzen und sie mit anderen zu teilen, ich glaubte, als Christ handeln zu müssen, auch wenn ich mich damit im Gegensatz befand zur Mehrheit der Menschen in dem Land, in dem ich lebte.
Heute finde ich es richtig, dass wir wieder ein Land sind. Warum hätten wir es zulassen sollen, dass 40 Jahre DDR so schwer wiegen oder so endgültig hätten sein sollen. Meine Großeltern lebten in einem Deutschland und mein Sohn tut es wieder. Er lebt auch in Italien, in Europa — und so ist es gut. Aber ich erkenne auch, dass wir, obwohl wir in Ost- und Westdeutschland die gleiche Sprache sprechen, uns oft nicht verstehen.
Das Problem auf ostdeutscher Seite ist, dass die Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, ihre
Es hat geklappt.
Warum mache ich diese Workshops?
„Die Zukunft liegt in der Erinnerung", hat der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig gesagt. Die Entwicklung unserer Gesellschaft wird in nicht geringem Maß mitbestimmt durch das, was wir für erinnerungswert halten.
1991 habe ich das Archiv Bürgerbewegung mit gegründet, um Zeugnisse der Bürgerrechtsbewegung der DDR zu erhalten, und habe mich in Leipzig an Aktionen zur Gründung und Durchsetzung der dann so genannten Gauck-Behörde beteiligt. Mit meinem Workshop „Freiheit wagen" möchte ich zusammen mit Jugendlichen Brücken schlagen von früheren Erfahrungen zu heutigen und zukünftigen.
In Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten eine „Erinnerungskultur" ausgebildet, eine Art der Auseinandersetzung mit Fragen des Widerstandes angesichts täglicher Unfreiheit, angesichts vor allem der Ermordung von Millionen Menschen während des dritten Reiches. Der Holocaust ist ein einmaliger Vorgang, für unser Geschichtsbild von zentraler Bedeutung.
Aber auch zur DDR-Geschichte, dem Erlebens- horizont meiner Jugend, beginnt sich eine Art des Umgangs mit Erinnerung an das Handeln im jüngsten deutschen Unrechtsstaat und an die Opposition gegen die damalige Diktatur auszubilden.
Neben die Erinnerung durch Forschungsarbeit, durch das Lesen von Büchern, sind der Besuch von speziellen Erinnerungsorten und die Zeitzeuginnen-befragung auch durch das Fernsehen getreten. Verschiedene Arten, sich zu erinnern, ergänzen einander.
30 Jahre hat es nach dem Zweiten Weltkrieg gedauert, bis zentrale Fragen nach Gewissen, nach Verhalten, nach der Rolle und den Möglichkeiten des Einzelnen im Gewaltregime in der Breite wirksam diskutiert wurden. Zwar gab es seit den 1950er Jahren offizielle Gedenkveranstaltungen zum NS-Widerstand, zwar wurden die Überlebenden des Widerstandes, etwa die Witwen der hingerichteten Mitglieder des Kreisauer Kreises, dazu eingeladen – davon abgesehen waren ihre Erlebnisse, ihre Empfindungen jahrzehntelang nicht gefragt. Erst seit den 80er Jahren hat sich das mit „Oral History" und einem damit verbundenen direktem emotionalen Zugang zur Geschichte geändert. Nach der Wende gelang in Deutschland die Einrichtung des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, eine Institution, die über die Öffnung und Bearbeitung von Akten des früheren DDR-Unterdrückungsapparates auch versucht, die Auseinandersetzung mit diesem Teil der jüngsten deutschen Geschichte mit zu gestalten. Erstmals in der Geschichte können alle auskunftssuchenden Bürgerinnen fast unmittelbar nach dem Ende eines Unrechtsregimes nachvoll-ziehen, welchen Niederschlag ihr tägliches Verhalten – und das ihrer Nächsten - in den staatlichen Auf-zeichnungen gefunden hat. Das ist eine in ihrer
Ziel des Kreisauer Kunstworkshops
Hinzukommen kann, hier wie an anderen Stellen der Erinnerung, die Arbeit in Kunstworkshops. Ziel ist es, mit Hilfe künstlerischer Arbeit und Ausdrucksformen zu emotionalen Grundwahrheiten, zu wichtigen Gefühlen wie Liebe, Freundschaft etc. vorzustoßen, die über Länder und Gesellschaftsgrenzen hinweg menschliches Leben und politisches Handeln prägen. Denn darin liegt nach meiner Überzeugung der Wert des Erinnerns: Da, wo Menschen diesen Grundgefühlen treu geblieben sind, sich treu geblieben sind, da haben sie den Zumutungen widerstehen können, die Zeit und Umstände ihnen entgegen-gestellt haben. Da, wo Menschen diese Grundgefühle nicht mehr in sich gespürt haben oder gegen sie gehandelt haben, da war keine Orientierung mehr oder nur Ersatzorientierung, und andere Menschen sind ihre Opfer geworden.
Künstlerische Arbeit, Malen, Theaterspielen, Tanzen ermöglichen den Zugang zu dem, was im Menschen steckt. Über die Brücke dieser Grundgefühle kann ein Jugendlicher von heute gehen und so verstehen oder wenigstens erfühlen, was zu anderen Zeiten persönliche Grundlage für Handeln gewesen ist.