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Annemarie Franke, Agnieszka v. Zanthier
Workshop und Ausstellung in Krzyiowa/Kreisau

Bei der Eröffnung der Ausstellung mit Werken von Katrin Hattenhauer im niederschlesischen Kreisau/ Krzyiowa fiel eine Gruppe von etwa 20 Sechzehnjährigen auf, die etwas verloren wirkten. Sie waren kurz zuvor erst in Kreisau angekommen, aus Potsdam (Deutschland), Jaroslav (Polen) und Vilnius (Litauen). Während die anderen Besucher der Ausstellungseröffnung – als Ehrengast Freya von Moltke sowie zahlreiche Mitglieder der Forschungsgemeinschaft 20. Juli – den Ort mit der Selbstverständlich¬keit vertrauter Gäste beschritten, stand den Jugendlichen die Reisemüdigkeit und die Ahnungslosigkeit ins Gesicht geschrieben: Sie fühlten sich wie in einer fremden Welt und wussten nicht recht, was dieses polnische Dorf, diese riesige alte Gutsanlage zu bedeuten haben. Die Ausstellung war der Auftakt eines zweiwöchigen Kunstworkshops, dessen erste Woche von der Künstlerin gestaltet werden sollte, deren Werke die Jugendlichen gerade bestaunten.

Der Workshop „Freiheit wagen!" ging zurück auf eine Idee von Katrin Hattenhauer, inspiriert durch den Ort Kreisau/Krzyiowa mit seiner Widerstandstradition und durch die eigenen Erfahrungen der Künst¬lerin: Engagement in der Bürgerrechtsbewegung in der DDR, Haft, Entlassung, Mauerfall. Die politi¬sche Wende mit ihren biographischen Implikationen prägte Katrin Hattenhauers Werk. Nach einer lan¬gen Phase düsterer Schwarz-Weiß-Bilder fand sie wieder zum Farbstrich. Während des Workshops in Kreisau nahm sich die Künstlerin vor, die Bedeutungen von Freiheit im privaten und gesellschaftlichen Leben mit jungen Menschen zu ergründen, zu diskutieren und künstlerisch auszudrücken. Sicher war es nicht ohne Bedeutung, dass die Teilnehmer des Workshops aus Ländern kamen, in denen noch wenige Jahre zuvor Diktaturen herrschten, auch wenn ihnen selbst die prägende Erfahrung der politischen Unfreiheit aufgrund ihres Alters fehlte.

Dass ein Workshop mit diesem Thema in Kreisau/Krzyiowa stattfand, war kein Zufall. Auf dem Gut der Familie von Moltke traf sich in dem niederschlesischen Dorf in den Jahren 1942-43 eine Widerstands¬gruppe, der „Kreisauer Kreis", um Pläne für die Zukunft Deutschlands und Europas nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur auszuarbeiten. Viele ihrer Mitglieder wurden 1944/45 hingerichtet. Nach dem Krieg wurde Kreisau polnisch und hieß fortan Krzyiowa. Aus der Aufbruchbewegung der späten 80er Jahre, die zum Ende der Spaltung Europas führte, entstand auf Initiative von u. a. Polen und Deut¬schen aus Ost und West die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung. Anknüpfend an die Gedan¬ken des „Kreisauer Kreises" wirkt die Stiftung im Sinne eines deutsch-polnischen und eines ost¬westeuropäischen Dialogs. Im November 1989 trafen sich in Kreisau die damaligen Staatschefs, Kohl und Mazowiecki, zu einer „Versöhnungsmesse", die heute als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen gewertet wird. Diese Begegnung im Zeichen der Versöhnung und Verständigung war zugleich der Auftakt für die nunmehr über zehnjährige Arbeit der in den alten Gemäuern des Gutes untergebrachten, modern ausgestatteten Begegnungs- und Tagungsstätte, in der v.a. junge Menschen ihre Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit erproben können.

So auch bei dem Workshop „Freiheit wagen!". Das Programm der zweiwöchigen Begegnung sah individuelle und Gruppenarbeit vor, letztere in der Regel in kleinen, national gemischten Gruppen. Die Aufgaben bestanden z. B. darin, den Satz „Ich fühle mich..." für sich persönlich zu beenden und den eigenen emotionalen Zustand künstlerisch auszudrücken, oder Momente der Freiheit im gesellschaftlichen Leben, in der Politik, im Privaten, in der Famili, etc. mit Mitteln der Malerei zu reflektieren.

Jeden Tag gab es einen anderen Schwerpunkt in der Arbeit: das Material, aus dem die „Kunst" ist oder die Fragen der Grenzen der Kunst und der Zensur. Überlegungen zum „Kreisauer Kreis" und der Motivation sei¬ner Mitglieder, Widerstand zu leisten, blieben nicht aus, und ebenso die Frage, wofür heute Jugendliche bereit seien, sich zu engagieren, wofür es sich lohne, zu kämpfen und welche Mittel der Kunst dabei zur Verfügung stünden. Nicht selten ging die Arbeit bis spät in die Nacht. Das Thema „Freiheit wagen", künstlerische Standpunkte und Äußerungen wurden im persönlichen Gespräch erörtert und auf Alltagstauglichkeit getestet. Bei manchen Teams wurde um Einigkeit gerungen, andere beschlossen, die Uneinigkeit zu thematisieren und darzustellen. Die Bilder und Collagen, die dabei entstanden, sind interessante Dokumente, an denen man sehen kann, dass für die Jugendlichen wichtige Gefühle in ver¬schiedenen Ländern und Lebenszusammenhängen gleich intensiv sind, dass wirklich wichtige Themen überall gleich wahrgenommen werden – auch wenn die Ausdrucksmöglichkeiten verschieden sind.

Die besondere Herausforderung für die Leiterin des Workshops, Katrin Hattenhauer, lag darin, dass die litauischen und polnischen Schülerinnen und Schüler aus Kunstschulen kamen und eine ganz bestimmte – technisch-fachliche – Form von Kunstkursen gewöhnt waren und erwarteten. Währenddessen emp¬fanden die deutschen Teilnehmer als interessierte Laien ihre eigene Unkenntnis künstlerischer Techni¬ken zuerst als Nachteil und wurden in Anbetracht der technischen Überlegenheit der Anderen etwas mutlos. Katrin Hattenhauer erwies sich als feinfühlige Beobachterin, die jeden Einzelnen in seiner Indi¬vidualität wahrzunehmen vermochte. Mit ihrer lebendigen, engagierten Art stieß sie die Jugendlichen förmlich an, sich aus den eigenen Grenzen zu befreien und zu entfalten. Sie konfrontierte sie mit Aufgaben, die über die rein technische Umsetzung von vorgegebenen Motivthemen hinausgingen. Die deutschen Jugendlichen wurden von ihr ermuntert, sich eigene Ausdrucksformen zu suchen, zu überlegen, wie sie ihre gesellschaftskritischen oder persönlichen Themen zum Ausdruck bringen können. Gefragt waren Kreativität, individueller Ausdruck und vor allem verbale Erörterung des eigenen künst¬lerischen Zugangs. Mit Kunstformen wie Performance, Body-Painting, Collagen schafften es die deut¬schen Jugendlichen, nicht nur Anschluss an die polnischen und litauischen Jugendlichen zu finden, sondern trugen entscheidend dazu bei, dass sich die Gruppe öffnete, Hemmschwellen abgebaut wurden und ein freierer Umgang miteinander entstand. Die Deutschen bewunderten die Vielfalt und die Quali¬tät der künstlerischen Techniken der Litauer, ihren fröhlichen Individualismus. Für die Litauer und die Polen war wiederum die Ungezwungenheit der Deutschen, die ausgefallenen Ideen und ihre Auseinan¬dersetzung mit Umwelt und Politik neu. Die Jugendlichen waren zunehmend voneinander fasziniert.

Obwohl Katrin Hattenhauers Arbeit mit Jugendlichen nur eine Woche dauerte – in der zweiten Woche übernahm die litauische Künstlerin, Neringa Zukauskaite, die Leitung des Workshops –, wurden eben in dieser Woche viele der Teilnehmer erstmals dazu angeregt, sich mit dem Begriff der Freiheit und ihrer Voraussetzungen bewusst auseinanderzusetzen. Die Intensität der Begegnung muss – an ihren Früchten gemessen – eine enorme Wirkung gehabt haben. Bis heute gibt es Freundschaften, die über mehrere Grenzen hinweg gepflegt werden. Eigenständig organisierten im vergangenen Sommer die deutschen Jugendlichen in Potsdam eine Ausstellung der in Kreisau entstandenen Arbeiten und luden dazu die polnischen und litauischen Workshopteilnehmer ein: Ein Wagnis, berücksichtigt man die organi¬satorischen und finanziellen Möglichkeiten der Schüler. Umso erfreulicher, dass dieses Wagnis gelungen ist und die gemeinsame Ausstellungseröffnung die in Kreisau geknüpfte Bande zwischen Potsdamern, Litauern und Polen stärken konnte.

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